Nationalsozialismus und internationale Öffentlichkeit

Nationalsozialismus und internationale Öffentlichkeit

Organizer(s)
Benno Nietzel, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum; Norman Domeier, Historisches Seminar, Karls-Universität Prag
Location
Bochum
Country
Germany
Took place
Hybrid
From - Until
28.09.2022 - 29.09.2022
By
Marlene Friedrich, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

In Zeiten von Fake-News und globalen Desinformationskampagnen, die wir gegenwärtig etwa bei Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine beobachten können, hat das Thema Medien und Öffentlichkeit(en) neue Relevanz gewonnen. Dass dieses nicht neu ist, demonstrierte im September eine Tagung, die sich mit dem Nationalsozialismus und der internationalen Öffentlichkeit beschäftigte.

Die Tagung schloss an das für den Nationalsozialismus bereits gut erforschte Feld der Medien- und Kommunikationsgeschichte an und erweiterte diese Perspektive um eine transnationale Dimension. Ausgehend von der Prämisse, dass die NS-Diktatur nicht isoliert betrachtet werden könne, sondern der internationale Kontext, in den sie intensiv eingebunden war, immer mit betrachtet werden müsse, ging die Konferenz der Frage nach, welches Bild die Welt vom Nationalsozialismus hatte und wie die NS-Diktatur sich nach außen darstellte. Insbesondere fünf Aspekte lagen den Organisatoren am Herzen: 1. der Blick auf die konkreten Akteur:innen und ihre Interessen, 2. die Formen der NS-Außendarstellung, 3. die mediale Infrastruktur, 4. die Rezeptionskontexte und 5. die Erkenntnis, dass es sich beim Nationalsozialismus nicht um einen geschlossenen Propagandastaat handelte, sondern dass das Regime offensiv in den Austausch mit der internationalen Öffentlichkeit trat. Die Tagung setzte sich auch das Ziel, den gegenwärtigen Debatten über die Rolle von globaler Propaganda und medialer Öffentlichkeitsarbeit durch Diktaturen eine historische Tiefendimension zu verleihen, rutschte dabei aber nie in simplifizierende Analogien ab.

Zunächst richtete sich der Blick auf verschiedene Formen nationalsozialistischer Kulturdiplomatie. CHRISTIAN GOESCHEL (Manchester) zeigte, wie deutsche Diplomaten versuchten, den Jahrestag von Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30.1.1933 als Schlüsselereignis der NS-Bewegung im kollektiven Gedächtnis zu verankern und dabei die Reaktionen der ausländischen Zielgruppen antizipierten und bei der Inszenierung berücksichtigten.

FRIEDEMANN PESTEL (Freiburg) widmete sich den internationalen Tourneen der Berliner Philharmoniker während der Kriegsjahre. Er zeigte, dass diese Tourneen genauso transnational angelegt waren wie davor und danach und einen integralen Bestandteil der NS-Propaganda im Krieg darstellten: In der nationalsozialistischen Imagination des „Neuen Europa“ sollten auch Orchester ihren Beitrag zur Kriegsmobilisierung leisten. Die Orchestermitglieder selbst verstanden sich trotz allem oft als unpolitisch.

Auch im Vortrag von DEBORAH BARTON (Montréal) tauchte diese Idee wieder auf. Sie zeigte am Beispiel der deutschen Journalistin Edit von Coler, wie die Kategorie Geschlecht im Sinne nationalsozialistischer Diplomatie instrumentalisiert werden konnte und wie sich damit Handlungsspielräume für Frauen in der Politik ergaben. Coler arbeitete in Rumänien daran, die Beziehungen zu Nazi-Deutschland zu verbessern, wobei sie sich dezidiert auf ihre Weiblichkeit berief und mit dem vermeintlich unpolitischen weiblichen Wesen spielte. Barton interpretierte ihr Agieren als erfolgreiche Form von soft diplomacy – ein Begriff, das zeigte die anschließende Diskussion, dessen analytischer Mehrwert keineswegs unumstritten ist, da sich dahinter oft keineswegs unwichtige Aktivitäten verbergen.

Auch der Vortrag von ARNAB DUTTA (Groningen) kreiste um die Idee des Unpolitischen, wobei seine Untersuchungen einen anderen Schauplatz in den Mittelpunkt stellten: die indische Region Bengalen und die Aktivitäten der Bengali Society of German Culture in den 1930er-Jahren. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, in Bengalen Wissen über die deutsche „Kultur“ zu verbreiten und verstand sich trotz klarer politischer Ziele als unpolitisch. NS-Deutschland diente ihr als Beispiel für eine „reine“, von der westlichen Moderne unbefleckte Kultur, womit sich die Mitglieder auch gegen das britische Modell imperialer Herrschaft richteten. Die Society stand in engem Austausch mit deutschen Akteuren, die diese wiederum für ihre Interessen zu nutzen wussten. Dutta versteht sie daher als Beispiel für eine globale Öffentlichkeit und eine globale intellectual history, und er möchte die Geschichte der „Achse“ um eine panasiatische Dimension erweitern.

Das Thema der globalen Öffentlichkeit blieb ein zentrales Motiv der Tagung. KENNETH NEGY (Chapel Hill) zeigte das am Beispiel der medialen Rezeption des Dritten Reichs im frühen franquistischen Spanien. Er legte dar, welchen Einfluss der politische Kontext auf die gegenseitige Wahrnehmung Spaniens und Deutschlands hatte, indem er das Deutschland-Bild Spaniens während und nach dem Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) untersuchte. Im Krieg, der nationalistisch aufgeladen war, konnten die Verbindungen zu NS-Deutschland nicht zu stark in den Fokus rücken, auch wenn die Germanophilie weit verbreitet war. Nach dem Krieg änderte der Tenor der Deutschland-Wahrnehmung in Spanien sich kaum, aber der veränderte Kontext erlaubte es Franco nun, die Fürsprecher NS-Deutschlands offen zu fördern – solange es zur franquistischen Ideologie passte.

Die beiden folgenden Beiträge befassten sich mit den japanisch-deutschen Beziehungen. SARAH J. PANZER (Springfield) zeigte, wie es japanischen Autoren in Deutschland gelang, das öffentliche Japan-Bild der Deutschen in ihrem Sinne zu formen und das eigene Narrativ zu kontrollieren. Sie reinterpretierten die japanische Kultur so, dass sie in NS-Deutschland anschlussfähig war und stellten nicht das geopolitische Eigeninteresse in den Fokus, sondern konstruierten das Bild einer kulturellen Gemeinsamkeit – eine strategische Entscheidung, die erneut auf das Motiv des vermeintlich Unpolitischen verweist. Den japanischen Autoren gelang das vor allem, indem sie bestimmte moralische Werte, die in der NS-Ideologie populär waren, in der japanischen Kultur und Geschichte verorteten.

DANIEL HEDINGER (Osaka) schaute sich demgegenüber an, wie NS-Deutschland und Italien in Japan als faschistische Gesellschaften wahrgenommen wurden, und machte dabei drei „globale Momente“ des Faschismus aus. 1933 war die Wahrnehmung NS-Deutschlands in Japan ambivalent und schwankte zwischen Sympathie und Kritik an Gewalt und Antisemitismus. Zugleich kam es zu einer „Universalisierung“ des Faschismus, bei der das italienische und das deutsche Modell verschmolzen. 1938 inszenierten die Achsenmächte mit viel Aufwand ihre Kooperation als „faschistisches Spektakel“, so dass – so Hedingers Neuinterpretation – die Achse „stark, erfolgreich und bedrohlich“ wirkte. Für das Jahr 1940 schließlich machte Hedinger in Japan eine neue Begeisterung für NS-Deutschland und das Achsenbündnis aus, die sich vor allem aus den deutschen Blitzkriegs-Erfolgen speiste. Die Achse rückte damit bei Panzer und Hedinger als globales, kulturelles Phänomen in den Fokus, dessen Bedeutung sich nicht auf das eines strategischen Bündnisses beschränkte.

MARJET BROLSMA und VINCENT KUITENBROUWER (Amsterdam) richteten den Blick auf die Kriegszeit. Sie stellten ein Digital-Humanities-Projekt zu niederländischen Presseerzeugnissen der Besatzungszeit vor, das auf der Basis einer umfangreichen Sammlung von digitalisierten Quellen die Medienlandschaft der Besatzungszeit untersucht. Am Beispiel des Begriffs „Europe“ und seiner Verwendung in pro- und anti-nationalsozialistischen Medien machten sie deutlich, dass Propaganda ein wechselseitiger Kommunikationsprozess war, bei dem beide Seiten sich gegenseitig beobachteten und direkt aufeinander reagierten.

MANUEL MORK (München) beschäftigte sich mit Kriegspropaganda im besetzten Frankreich. Ihn interessierten jedoch nicht allein die deutschen Besatzer, sondern er fragte nach den Reaktionen auf die deutschen Zensur- und Propagandaaktivitäten in der französischen Gesellschaft. Dafür untersuchte er Praktiken des sense-making, informelle Kommunikationsprozesse und populäre Narrative, etwa in Gerüchten oder Witzen. Sein Vortrag berührte damit die komplexe Frage nach der Möglichkeit von Öffentlichkeit(en) in besetzten Gesellschaften. Mork konnte zeigen, wie im Rahmen der Besatzung das Vertrauen in offizielle, von den Deutschen kontrollierte Medien und Kommunikationskanäle sank – er bezeichnete das als „epistemische Krise“ des politischen Wissens. Stattdessen konstatierte Mork ein Goldenes Zeitalter der informellen Kommunikation und populären Epistemologie.

Der Vortrag von HEINER STAHL (Siegen) führte von der Makro-Ebene auf die Mikro-Ebene und stellte mit Günther Diehl einen Protagonisten in den Vordergrund, dessen erfolgreiche Berufskarriere in der staatlichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von der NS-Zeit bis weit in die Bundesrepublik reichte. Stahl skizzierte die Rolle persönlicher Netzwerke und die Kontinuitäten – und damit auch Belastungen – über die vermeintliche Zäsur von 1945 hinweg und zeigte, wie „staatliche Öffentlichkeitsarbeit“ als Handwerk erlernt wurde. Den Begriff wählte er bewusst, um die normativen Implikationen des Begriffs „Propaganda“ zu umgehen. In der anschließenden Diskussion zeigte sich, dass gerade hier noch Klärungsbedarf besteht: Verengt der Begriff „Propaganda“ den Blick, oder ist es nicht doch gewinnbringend, ihn zu benutzen, weil er auch auf die Ursprünge im angloamerikanischen Raum verweist, wo unter Propaganda auch Werbung und PR verstanden wurde und wird? Schnell landete die Diskussion damit bei der grundsätzlichen Problematik von Semantiken, bei der Verwendung bestimmter Begriffe durch historische Akteure auf der einen und ihrem Gebrauch als analytische Kategorie auf der anderen Seite.

JOAO FRANZOLIN (São Paulo) stellte eine Fallstudie zu drei illustrierten Zeitschriften aus dem Bereich der Auslandspropaganda vor: die deutsche Zeitschrift „Signal“ unter Federführung der Propagandakompanie der Wehrmacht sowie die US-amerikanischen Illustrierten „Em Guarda“ und „Victory“, die ein positives Bild der USA im Ausland verbreiten sollten. Durch seine Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Zeitschriften gelang es Franzolin, die konkrete Praxis der Propaganda als „connected history“ deutlich zu machen, bei der die beiden Seiten einander beobachteten und aufeinander reagierten. Die Illustrierten veränderten dabei als neues Medium die Form der Kommunikation, dienten Bilder doch nicht mehr als reine Illustration, sondern waren selbst integraler Teil des Erzählens.

Auch NORMAN DOMEIER (Prag) widmete sich dem Thema Fotojournalismus, blickte allerdings nicht auf die journalistischen Endprodukte, sondern auf den Entstehungskontext, indem er erläuterte, wie die US-amerikanische Bildagentur Associated Press (AP) und NS-Deutschland auch nach dem Beginn des Krieges bis zur deutschen Kapitulation täglich Pressefotos austauschten. NS-Fotos kursierten in internationalen Medien, während der NS-Propagandaapparat zugleich ausländisches Bildmaterial nutzen und wichtige NS-Funktionäre bis hin zum Führer sich persönlich auf Basis der AP-Fotos über die Kriegsgegner informieren konnten. Mit diesen Fotos wurde auf beiden Seiten Politik gemacht, sie schufen Fakten und waren Teil eines globalen Medienmarktes. Der bemerkenswerte Quellenfund, den Domeier 2017 erstmals publizierte, verändert so den Blick auf die Fotografiegeschichte des Nationalsozialismus und seine Einbindung in eine globale Öffentlichkeit.1

Anschließend ging es um die Interaktionen zwischen deutscher und internationaler Öffentlichkeit. SÖNKE FRIEDREICH (Dresden) untersuchte anhand der „Heimatbriefe“ des Volksbunds für das Deutschtum im Ausland (VDA) die auslandsdeutsche Medienöffentlichkeit in den 1930er-Jahren. Diese Heimatbriefe waren im Stil persönlicher Briefe gehalten und zugleich staatliche Propagandablätter. Dezidiert zielten sie auf die Interaktion mit den Leser:innen, die zu Antwortschreiben und Erlebnisberichten aufgerufen waren. Sie stellen eine spannende Quelle für die transnationalen Dimensionen der Medienöffentlichkeit der 1930er-Jahre dar, denn die Auslandsdeutschen sahen sich mit einem Geflecht von Medien aus dem Reich, deutschsprachiger Presse im Ausland und fremdsprachigen Medien konfrontiert, zu dem sie sich in ihren Schreiben an den VDA positionierten. Dabei zeigen sich Konfliktlinien, etwa zwischen der kritischen Auslandspresse und den – heterogenen – Positionen der Auslandsdeutschen, die teils selbst zu Multiplikator:innen der NS-Propaganda wurden.

Den Blick auf NS-Deutschland von außen untersuchte ANNA STROMMENGER (Bielefeld) anhand von Reiseberichten. Ihr Vortrag über die Deutschlandreise des afroamerikanischen Soziologen W.E.B. Du Bois im Jahr 1936 lotete aus, welche Potentiale eine Analyse der Außenperspektive für das Verständnis der transnationalen Verflechtungen NS-Deutschlands hat. Am Beispiel von Du Bois zeigte sie, wie Deutschland unter internationaler Beobachtung stand und als Folie diente, um über die eigene Herkunftsgesellschaft und ihre Probleme zu sprechen. Die widersprüchlichen und teilweise schwer verständlichen Beobachtungen, die Reisende in Deutschland machten, ordneten sie mithilfe bekannter Kategorien ein. Strommengers Überlegungen, die Teil eines größeren Forschungsprojektes sind, das auch Ego-Dokumente einbeziehen soll, verspricht damit spannende Erkenntnisse über die Konstitution einer internationalen Öffentlichkeit, die jedoch fragmentiert war und weiterer Differenzierung bedarf.

BENNO NIETZEL (Bochum) wandte sich stärker konzeptionellen Fragen zu. Anhand einer Re-Lektüre bekannter Beispiele machte er deutlich, wie eng verflochten die deutsche und die internationale Öffentlichkeit waren. Ganz bewusst setzte das NS-Regime auf internationale Propaganda als Mittel der „geistigen Kriegsführung“, führte das deutsche Publikum „auf eine internationale Bühne“ und inszenierte dabei einen transnationalen Kommunikationsraum – auch performativ. Der innenpolitischen Bedeutung von NS-Propaganda für die Herrschaftssicherung und die Herstellung einer „Volksgemeinschaft“ fügte Nietzel damit eine globale Perspektive hinzu, die davon nicht zu trennen ist, und verwies damit noch einmal auf die Relevanz der Tagung. Sie zeigte sich auch in der anschließenden Diskussion, die sich etwa der Frage zuwandte, wie es den Blick auf Propaganda verändert, wenn man die Tatsache ernst nimmt, dass das NS-Regime die Deutschen als aktive Beteiligte am Prozess der Propaganda verstand. Wie weit die Deutschen diese Rolle für sich akzeptierten und wie der stark kontrollierte und inszenierte öffentliche Rahmen und der Alltag der Menschen zueinander standen, sind wichtige Fragen für die weitere Forschung.

Keine Tagung über den Nationalsozialismus kommt ohne einen Blick auf die verbrecherische Seite des Regimes aus, und das war auch hier nicht anders. STEPHANIE SEUL (Bremen) beleuchtete den NS-Antisemitismus in der Weimarer Republik und seine Wahrnehmung in der britischen Presse. Diese beobachtete die antisemitische Bewegung in Deutschland schon vor 1933 genau und verband damit die Sorge um die deutsche Demokratie. Sie unterschätzte aber, so Seuls These, die radikale Natur des deutschen Antisemitismus und ging nicht davon aus, dass die Nazis ihre radikale Ideologie in konkrete Politik umsetzen würden.

JENS KRUMEICH (Heidelberg) setzte sich mit der Frage auseinander, wie das NS-Regime auf antifaschistische Satire aus dem Ausland reagierte. Er zeigte, wie NS-Publikationen kritische Karikaturen aus dem Ausland und das wirklich Geschehene gegenüberstellten und so eine Dualität von „wahrer“ deutscher und „unwahrer“ ausländischer Propaganda konstruierten. Durch die direkte Konfrontation sollten sie die antifaschistische Propaganda entmachten und den Leser:innen auch selbst das Werkzeug dazu mitgeben.

ELISABETH PILLER (Freiburg) wartete mit einem spannenden Quellenfund auf: Berichte von amerikanischen Studierenden, die in den Jahren zwischen 1933 und 1940 in Deutschland studierten. Diese Berichte lassen die Veränderungen sichtbar werden, die der Nationalsozialismus mit sich brachte, aber auch Sympathien und Verständnis für ihn erkennen. Sie sind vor allem relevant, weil es sich bei den Austauschstudierenden um die akademische Elite der USA handelte und ihre Berichte in prominenten Kreisen zirkulierten und auf großes Interesse stießen. Sie prägten damit das Meinungsbild in den USA über NS-Deutschland und trugen zu einer Verharmlosung des NS-Regimes bei.

Auch JONATHAN WIESEN (Birmingham) blickte durch die amerikanische Brille auf den Nationalsozialismus und untersuchte, wie schwarze US-Amerikaner die Judenverfolgung dazu nutzten, die eigene Situation zu verstehen, und wie umgekehrt NS-Deutschland dem Kriegsgegner USA aufgrund des eigenen Rassismus Scheinheiligkeit vorwarf und zugleich Inspiration für die eigene Politik fand. Damit lieferte Wiesen ein weiteres Beispiel für die globalen Verflechtungen NS-Deutschlands und die grenzüberschreitenden Kommunikationsprozesse. Er schaute sich afroamerikanische Zeitungen an und konnte zeigen, wie dort die antisemitischen Maßnahmen der Nazis mit dem Rassismus gegen Schwarze in den USA gleichgesetzt wurden, um die eigenen Probleme in den USA zu thematisieren und Veränderungen zu fordern. Der Vergleich der Situation der Schwarzen in den USA mit dem Schicksal der Juden in Europa durch die afroamerikanische Bevölkerung trug dazu bei, die Judenverfolgung zu einem der zentralen Referenzpunkte für Völkermorde und rassistische Diskriminierung zu machen.

DANIEL SIEMENS (Newcastle) schließlich sprach über die linke deutschsprachige Exilpresse und ihre Versuche, eine transnationale, antifaschistische Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Anhand der „Neuen Weltbühne“ zeigte er, dass diese Versuche kaum erfolgreich waren und die Informationskampagnen über die nationalsozialistische Unrechtspolitik vor allem Emigrant:innen erreichten und wenig Einfluss auf NS-Deutschland selbst hatten. Sein Vortrag verwies damit auf die Grenzen, die sich für eine transnationale Öffentlichkeit in Auseinandersetzung mit einer Diktatur ergaben.

Insgesamt gelang es der Tagung, durch eine bemerkenswerte Breite empirisch neuer Studien die Perspektive auf NS-Propaganda nicht nur konzeptionell in transnationalem Sinne neu zu denken, sondern auch auf Basis von Quellenrecherchen im globalen Maßstab Neuland zu betreten und den Nationalsozialismus damit anschaulich und konkret als transnationales Phänomen sichtbar zu machen. Die Vorträge und Diskussionen verbanden das mit einer theoretischen Tiefendimension, ohne sich dabei im Minenfeld der Faschismustheorie zu verlieren. So warf die Tagung wichtige Fragen für die weitere Forschung auf, etwa, was an der NS-Propaganda und Öffentlichkeitsarbeit spezifisch für den Nationalsozialismus war. Gerade die Frage, ob und inwiefern es so etwas wie eine globale Öffentlichkeit überhaupt gab, muss dabei noch stärker theoretisiert werden, und vieles deutet darauf hin, dass es sich eher um multiple Öffentlichkeiten handelte und auch imaginierte Öffentlichkeiten und Projektionen berücksichtigt werden müssen.

Konferenzübersicht:

Panel 1: Nationalsozialistische Kulturdiplomatie

Chair: Norman Domeier (Prag)

Christian Goeschel (Manchester): 30 January 1933 in Nazi Cultural Diplomacy, 1934-1945

Friedemann Pestel (Freiburg): Mobile Propaganda. Die Berliner Philharmoniker auf Tournee im ,Neuen Europa‘, 1940-1944

Deborah Barton (Montréal): „Blood and soil but streamlined by Elizabeth Arden.” Edit von Coler’s Propaganda and Diplomacy in Romania

Arnab Dutta (Groningen): The Bengali Society of German Culture in the 1930s. Between Language, Racial Knowledge, and National Socialism

Panel 2: Faschismus, die Achse und die globale Öffentlichkeit

Chair: Anna Strommenger (Bielefeld)

Kenneth Negy (Chapel Hill): Media Depictions of the Third Reich in Early Francoist Spain, 1937-1945

Sarah J. Panzer (Springfield): Sons of the Samurai. Strategies of Japanese Cultural Diplomacy in Nazi Germany

Daniel Hedinger (Osaka): Die mediale Achse. Eine japanische Perspektive

Panel 3: Nationalsozialistische Auslandspropaganda, Krieg und Besatzung

Chair: Benno Nietzel (Bochum)

Vincent Kuitenbrouwer / Marjet Brolsma (Amsterdam): Media War. Press, Radio and Propaganda in Nazi Occupied Netherlands, 1940-1945

Manuel Mork (München): An Occupied Public. Wartime Propaganda, Popular Narratives and Public Protest in Occupied France (1940-1944)

Heiner Stahl (Siegen): Günter Diehl. Ingenieur der Verlautbarung in Brüssel, Vichy und Bonn (1939-1969)

Joao Franzolin (São Paulo): Signal (Berlin, 1940-1945), Em Guarda (Washington, 1941-1945), Victory (Washington, 1942-1945). Ein Krieg auf Papier

Norman Domeier (Prag): Der geheime Austausch von Pressefotos zwischen Associated Press (AP) und NS-Deutschland 1942-1945

Panel 4: Wechselspiele zwischen deutscher und internationaler Öffentlichkeit

Chair: Friedemann Pestel (Freiburg)

Sönke Friedreich (Dresden): „Höchstpersönlich von der Heimat begrüßt.“ Die auslandsdeutsche Medienöffentlichkeit als Brennpunkt medialer Inszenierungsstrate-gien nach 1933

Anna Strommenger (Bielefeld): Außenperspektiven auf das nationalsozialistische Deutschland. Zum Erkenntnispotenzial ausländischer Reiseberichte für eine transnationale (Medien-)Geschichte des Nationalsozialismus

Benno Nietzel (Bochum): Die transnationale deutsche Öffentlichkeit im Weltkrieg

Panel 5: NS-Verbrechen, Weltöffentlichkeit und publizistischer Widerstand

Chair: Benno Nietzel (Bochum)

Stephanie Seul (Bremen): „It has now become difficult to give any assurance that Germany is a country safe for Jews.” The British Press and Nazi Anti-Semitism during the Weimar Republic

Jens Krumeich (Heidelberg): „Wie sie lügen“. Zur Demontage antifaschistischer Satire im nationalsozialistischen Deutschland

Elisabeth Piller (Freiburg): „To Watch a Revolution at First Hand.” US-Öffentlichkeit und amerikanische Austauschstudenten im „Dritten Reich“, 1933-1938

Jonathan Wiesen (Birmingham, Alabama): The Yellow Star and the „Curse of Ham”. African Americans, Nazi Antisemitism, and Global Discourses on Racism

Daniel Siemens (Newcastle): „Man muss den Nationalsozialisten ihre Schlagworte wegnehmen“. Die Neue Weltbühne und die Probleme, eine transnationale antifaschistische Gegenöffentlichkeit zu schaffen, 1934-1939

Abschlussdiskussion

Anmerkung:
1 Vgl. Norman Domeier, Geheime Fotos. Die Kooperation von Associated Press und NS-Regime (1942–1945), in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 14 (2017), S. 199–230, https://zeithistorische-forschungen.de/2-2017/5484 (13.01.2023); ders., Weltöffentlichkeit und Diktatur. Die amerikanischen Auslandskorrespondenten im „Dritten Reich“, Göttingen 2021.

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